Digitalität im Alltag

Testfahrten der SBB mit ferngesteuerten Zügen
Die SBB führen zusammen mit Alstom Testfahrten zur Erprobung der Fernsteuerung von Zügen durch Lokpersonal durch. Mittels Kameras sollen die Züge aus einer örtlich entfernt liegenden Zentrale über das öffentliche Mobilfunknetz ferngesteuert werden. Das Bundesamt für Verkehr (BAV) ist selbstverständlich auch involviert und bezahlt die Versuche vermutlich auch. Die Testfahrten sollen der Überprüfung des Einsatzes von «Fernsteuerungs-Fahrzeugführer:in» dienen, um in einem automatisierten Betrieb einen defekten Zug in einen sicheren Bereich zu bewegen. Gleichzeitig wird betont, dass die SBB keine Priorität auf selbstfahrende Züge im Kundenbereich legen.

Von der Digitalisierungseuphorie vor 10-15 Jahren ist bei den Bahnen nicht mehr viel übrig geblieben. ETCS ist ein Scherbenhaufen, wie die Bahnen, die Industrie und insbesondere die Finanzverantwortlichen hinter vorgehaltener Hand bestätigen. Von automatischen Zügen ist nichts geblieben. Das automatische Fahren mit einem verantwortlichen Lokführer im Führerstand ist irrelevant, da keine Einsparungen möglich sind. Das automatische Rangieren, die komplexeste Aufgabe bei der Zugführung, versucht man seit langem vergeblich abzusichern und soll jetzt ferngesteuert erfolgen. 
Vielleicht wird die automatische Kupplung im Güterverkehr wenigstes einen kleinen Teil der grossen Träume in Erfüllung gehen lassen. 180 Millionen sind eine weitere zukünftige Investition darin – Einsparungen resultierten bis heute keine.

Was sich bei jeder dieser Automatisierungs-Ideen zeigt, ist die Geringschätzung für den Beruf des Lokomotivführers. Dass solche Versuche noch mit dem Zusatz «Die Lokführer:innen werden durch die Technik zunehmend unterstützt» ergänzt werden, zeigt die erschreckende Unkenntnis der Sachlage im Betrieb auf dem Führerstand.

Wir ziehen gerne in ein paar Jahren Bilanz über diese Testfahrten.


Datenerfassung Güterverkehr
Schwierigkeiten mit dem SBB-eigenen Cargo Informationssystem Infrastruktur „CIS-Infra“, dem Zug Informationssystem „ZIS“ und den anderen seit Jahren erprobten Systemen unter dem «Projekt Greenfield» haben zu erheblichen Problemen geführt. Der VSLF hat Cargo mehrere Male darauf aufmerksam gemacht und sah in gewissen Situationen auch die Sicherheit gefährdet. Das System, welches zukünftig acht Millionen Franken einsparen soll, funktioniert noch immer nicht wie gewünscht und führt bei den Zugaufgebern zu erheblichen Mehrarbeiten. Auch sind bei Lastenänderungen auf Unterwegs-Bahnhöfen die Zugdaten vermehrt nicht korrekt.
Trotzdem werden die Systeme auf den gängigen Kanälen gelobt, was von den betroffenen Mitarbeitern als realitätsfremd und schönfärberisch empfunden wird.


Austritt des VSLF aus dem Verein SBB-Digitalisierungsfonds
Der SBB-Digitalisierungsfonds wurde Ende 2018 vom damaligen CEO der SBB, Andreas Meyer, und dem damaligen Präsidenten des SEV, Giorgio Tuti, initiiert. Als Ziel wurde die Auseinandersetzung mit Chancen und Herausforderungen im Zusammenhang mit der Digitalisierung sowie weiteren in diesem Zusammenhang stehenden, zukünftigen Entwicklungen für die SBB und deren Mitarbeitenden in Aussicht gestellt. 
Neben den in den vergangenen drei Jahren in Auftrag gegebenen und ausgewerteten Studien und Projekten wurde festgestellt, dass ein Teil der möglichen Massnahmen bereits durch die SBB eingeführt und umgesetzt wurde oder entsprechende Gefässe vorhanden sind.
Die konkreten täglichen Probleme im Betrieb, welche sich aus der Digitalisierung ergeben sind sehr komplex, über verschiedene Arbeitsbereiche gelegt und müssen vor Ort gelöst werden. Ein Teil der Digitalisierungsprobleme im Berufsalltag entstehen aus internen Vorgaben und müssen durch die SBB selber gelöst werden. Von diesen Schwierigkeiten sind alle Bahnen in unterschiedlichem Ausmass betroffen.

Der VSLF sieht durch seine Mitgliedschaft keinen direkten Mehrwert für das Lokpersonal und möchte seine Kompetenzen in anderen Bereichen wirkungsvoller und zielgerichteter einbringen. Aus diesen Gründen tritt der VSLF aus dem SBB-Digitalisierungsfonds aus.


Persönlichkeitsschutz der Mitarbeitenden
Der VSLF hat bei SBB HR verschiedene Punkte zur Thematik «Persönlichkeitsschutz und Personifizierung» zur Lösung eingegeben.

Grosse Kreise an Mitarbeitern haben über die Zugnummer jederzeit freien Zugriff auf die Namen und weitere Daten anderer Mitarbeiter, welche Rückschlüsse auf ihre Arbeitszuteilung, ihre konkrete Arbeitstätigkeit und ihre Arbeitsergebnisse zulassen. Diese Kanäle sind nur in eine Richtung offen. Bei Gesprächen aus dem Führerstand sind weder Namen noch weitere Informationen zum Gesprächspartner bekannt. Maximal ist die Funktion, nicht aber die Kompetenzen bekannt. Zusätzlich werden mittels Kameras viele Bereiche der Bahnanlagen und Perrons überwacht. Diese Bilder werden von diversen Abteilungen genutzt und erlauben direkte Einblicke in die Tätigkeit des Lokpersonals im Führerstand. So kann ein Lokführer vom Aussteigen bis zur Arbeit im nächsten Zug permanent beobachtet werden. Mittels Zugnummer sind Namen und Dienste offen einsehbar. Ein gläserner Angestellter unter Monitorbeobachtung.
Der GAV der SBB regelt, dass der Zugang zu Daten über andere Personen nur Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben, die aufgrund ihrer Funktion Einsicht haben müssen. Wir sehen diesen Grundsatz nicht eingehalten.

Weiter sind E-Mail-Adressen und Angaben im Telefonbuch oft nur noch als Gruppenadresse hinterlegt. Dies im Gegensatz zum Lokführer, welcher immer aufgrund der Zugnummer mit Namen identifiziert werden kann. Dieses Gefälle ist nicht nur sehr störend und ungerechtfertigt, sondern auch diskriminierend (und läuft den Gedanken «OneSBB» und «Verantwortung übernehmen» zuwider).


Vereinbarung Datenschutz und Ethik Codex HR-Analytics
Das revidierte Datenschutzgesetz (DSG) wurde per 1. September 2023 in Kraft gesetzt und seither gilt auch das revidierte Bundespersonalgesetz (BPG). Dieses entzieht den Bundesorganen wie der SBB die gesetzliche Grundlage für die automatisierte Datenbewertung «Profiling» von Mitarbeitenden. Das heisst, dass seit diesem Zeitpunkt für den Einsatz von «Profiling» im Bereich der SBB GAV-Mitarbeitenden eine gesetzliche Grundlage nötig ist.
Im Rahmen einer gemeinsamen, paritätischen Arbeitsgruppe wurden Lösungen erarbeitet, welche in den Vereinbarungen «Vereinbarung zum Datenschutz» und «Vereinbarung Ethik Codex für den Einsatz von HR-Analytics bei der SBB AG» mündeten. 

Die SBB gewährleisten damit den Datenschutz der Mitarbeitenden. Personendaten der Mitarbeitenden nur soweit zu bearbeiten, wie sie die Eignung für das Arbeitsverhältnis betreffen oder zur Durchführung des Arbeitsvertrags erforderlich sind. Der Ethik-Codex dient als verbindlicher Orientierungsrahmen, damit Technologien, die auf moderne Algorithmik setzen, umsichtig und zielführend im Interesse der Mitarbeitenden wie auch der SBB eingesetzt werden können.


Neues digitales Einteilungsprogramm bei BLS Cargo
BLS Cargo hat im November 2023 «Railcube» als neues Dispositions- und Planungssystem eingeführt. Es sollte die Planung und die Abläufe vereinfachen. Dieses Ziel wurde nicht erreicht. Da der Überblick über die Daten verloren ging, wurden falsche Lokomotiven auf die Züge geplant und das Lokpersonal war nicht immer am richtigen Ort. Problematisch waren auch die Schnittstellen zu den bestehenden Programmen für die Zeitberechnung, welche zu falschen Abrechnungen führte.
Ebenfalls von der BLS aktiv unterstützt, finden Versuche mit der Applikation für sichere Rangierfahrten «WaRa» statt, welche Rangierzwischenfälle vermeiden soll. Die Komplexität ist hoch, die Warnung erfolgt einzig über den Menschen zur Maschine und das Ablenkungspotential ist sehr hoch. 


Digitalisierungspläne der Deutschen Regierung
Der verkehrspolitische Sprecher der deutschen FDP-Bundestagsfraktion, Bernd Reuther, präsentierte eine Lösung für den Streik der GDL-Kollegen: «Lokomotiven sollen künftig von einer künstlichen Intelligenz gesteuert werden. Dadurch könnten Züge autonom und somit flexibler sowie effizienter eingesetzt werden, ohne auf Lokführer angewiesen zu sein».

Von wegen; Die Industrie schafft es ja nicht einmal im Gotthard Basistunnel, also im abgeschlossenen Tunnelsystem mit der neusten europäischen Technik, dass der Lokführer die Verantwortung der Technik abgeben und das Totmannpedal loslassen kann. 


Stellung VSLF
Es bringt nichts, sich stur gegen jeden Wandel zu stemmen. Aber „kritisches Begleiten“ wird von den Verantwortlichen als Akzeptanz interpretiert. Die Kräfte und die Energie zum Umsetzen schlechter Lösungen für die Unternehmung und die Mitarbeitenden sind schlicht zu gross. Wir fürchten nicht um Arbeitsplätze, sondern im Gegenteil, dass die Attraktivität derselben weiter abnimmt und Arbeitsabläufe und die Finanzen des öV weiter belastet werden.

VSLF Nr. 800, 01. Februar 2024, DS