Reden

Rede von Bundesrat Albert Rösti an der Generalversammlung VSLF

An der Spitze des öffentlichen Verkehrs

Bern, 16.03.2024 - Rede von Bundesrat Albert Rösti an der Generalversammlung des Verbands Schweizer Lokomotivführer und Anwärter (VSLF), Fribourg, 16.03.2024

Es gilt das gesprochene Wort

Sehr geehrter Herr Präsident
sehr geehrte Lokführerinnen und Lokführer
sehr geehrte Anwärterinnen und Anwärter
geschätzte Damen und Herren

Es ist mir eine grosse Freude, heute hier in Fribourg an Ihrer Generalversammlung teilzunehmen. Seit über einem Jahr leite ich das Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK). 

Es ist für mich zentral, dass ich mich mit Berufsgruppen, die für mein Departement so wichtig sind wie Sie, austauschen kann. Ich stehe wohl an der Spitze des UVEK, Sie aber sitzen an der Spitze der Züge, was für die Passagierinnen und Passagiere viel wichtiger ist.

In dieser herausfordernden und verantwortungsvollen Position sind Sie zudem ein wichtiger Sensor dafür, wie es im Bahnbetrieb läuft, was gut ist und wo es harzt. Von diesen Erfahrungen und Ihren Inputs möchte ich heute profitieren! 

Gleichzeitig lege ich Ihnen gerne die Themen dar, welche den VSLF betreffen und uns in Bundesbern beschäftigen.

Et je voudrais aussi vous remercier pour tout ce que vous faites 24 heures sur 24 et sept jours sur sept. Pour que le système ferroviaire fonctionne, il faut que le personnel soit présent à toute heure du jour et de la nuit. Ce samedi également, de nombreux membres de votre syndicat travaillent. 

In Ihrem Beruf herrscht seit längerem ein Fachkräftemangel, und viele Lokführer werden in den nächsten Jahren pensioniert. Das ist eine grosse Herausforderung. Denn ohne genügend Lokführer droht der Stillstand einzelner Züge. Sie kennen die Beispiele, die in letzter Zeit auch in der Öffentlichkeit genannt wurden. Damit der Lokführer-Beruf attraktiv bleibt, braucht es in erster Linie gute Arbeitsbedingungen. 

Es braucht flexible Arbeitsmodelle und Teilzeitpensen, damit Schicht- und Wochenendarbeit kompensiert werden können. Gleichzeitig können damit auch noch mehr Frauen für den Lokführerberuf rekrutiert werden. Ihr Anteil ist zwar in den letzten Jahren gestiegen (bei der SBB zum Beispiel von 3,3 auf 7,3 Prozent innerhalb der letzten zehn Jahre), liegt aber immer noch unter 10 Prozent. Hier besteht noch ein grosses Potenzial!

Neben Teilzeitmodellen können auch attraktive Ausbildungsmodelle, die Erhöhung der Altersgrenzen, das Potenzial von Wiedereinsteigern, aber auch ganz einfach der Einsatz von modernem Rollmaterial dazu beitragen, den Beruf attraktiv zu halten und genügend Personal zu finden.

In seinen strategischen Zielen fordert der Bundesrat von der SBB, dass sie eine fortschrittliche und sozialverantwortliche Personalpolitik verfolgt, attraktive Anstellungsbedingungen bietet und sich mit geeigneten Massnahmen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf engagiert. Er überprüft auch jährlich die Erreichung dieser Ziele. Es ist Aufgabe der Sozialpartner, sich im Rahmen der Gesamtarbeitsverträge auf die Einzelheiten zu einigen.

Cette thématique m’occupe également et, avec le président de l’EPFZ, le professeur Joël Mesot, nous en avons discuté l’automne dernier. Les EPF et le DETEC souhaitent renforcer leur collaboration afin qu’il y ait suffisamment de personnel qualifié dans les professions techniques. 

Die Bahnunternehmen, der Bund und Sie als Sozialpartner müssen beim Berufsbild, der Personalpolitik und den Anstellungsbedingungen weiter gut zusammenarbeiten.

Eine weitere grosse Herausforderung ist - wie in vielen anderen Berufen - die technische Veränderung und Digitalisierung. Jeder Wandel ist anspruchsvoll, bringt Chancen und Risiken. Es muss Ihnen und uns gelingen, die Chancen sichtbar zu machen.

Der Bund bekennt sich zur Weiterentwicklung und Digitalisierung der Bahn. Diese wird unsere Eisenbahn leistungsfähiger machen. Nur so kann die Bahn ihren Platz in der modernen Transportwelt halten und ausbauen. Dass Projekte zum autonomen Fahren und weitere Tools bei Ihnen Ängste auslösen können, kann ich gut nachvollziehen.

Wir wollen aber mit der Förderung solcher Tools die Lokführer nicht überflüssig machen, sondern unterstützen. Lokführer wird es immer brauchen, ausser vielleicht auf einzelnen, klar abgegrenzten Metro-Strecken. Wir können nicht Züge im Mischverkehr unbegleitet durchs Land fahren lassen.

Es bleibt weiterhin wichtig, dass das Lokpersonal bei unvorhersehbaren Ereignissen reagieren und eingreifen kann. Das Personal muss konsequent und schnell Mängel und Störungen an die zuständigen Stellen melden. Fachspezialisten der Bahnunternehmen sind auf Sie, geschätzte Lokführerinnen und Lokführer, mit Ihrer Erfahrung und Ihrem Fachwissen angewiesen.

Eine weitere Herausforderung für unser Land, die für mich als UVEK-Vorsteher sehr wichtig ist, betrifft auch den Zugverkehr: die Sicherung der Energieversorgung. Für den Schienenverkehr in der ganzen Schweiz beispielsweise sind 6,822 Millionen Kilowattstunden Strom pro Tag nötig – dieser Strom muss 24 Stunden mal sieben Tage und absolut verlässlich vorhanden sein.

Die Schweiz wird die fossilen Energien schrittweise reduzieren. Deshalb brauchen wir als Ersatz rasch mehr Strom, und zwar aus erneuerbaren Energien. Das Bundesgesetz für eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien unterstützt dieses Ziel. Wir stimmen im Juni darüber ab, und ich engagiere mich mit voller Überzeugung für diese Vorlage.

Ich komme zu einer weiteren Herausforderung: Europa. Die Schweizer Bahnwelt ist keine Insel. Wir sind (wie auch im Strassenverkehr) ein Transitland, insbesondere für den Güterverkehr. Internationale Bahnverbindungen sind für den Schweizer Tourismus und den Wirtschaftsstandort wichtig. Grenzüberschreitende S-Bahnen ermöglichen die Mobilität der Pendlerinnen und Pendler über Landesgrenzen hinaus. Das Schweizer Bahnsystem ist Teil des europäischen Bahnsystems und muss mit diesem so kompatibel wie möglich sein.

Europäisch standardisierte Zugbeeinflussungs-, Sicherheits- und Signalsysteme (ERTMS bzw. ETCS) sind in Europa Realität. Es geht nicht darum, ob wir diese Systeme auch bei uns wollen oder nicht, sondern wie wir die Umsetzung am besten gestalten. Dafür sollten alle Beteiligten am gleichen Strick ziehen.

Die vom VSLF favorisierten Nachfolgesysteme früherer nationaler Zugbeeinflussungsysteme (ZUB, SIGNUM) sind mit den europäischen Systemen und deren Weiterentwicklung nicht kompatibel. Bei der Einführung von ETCS hat Ihr Verband aber zahlreiche wichtige Inputs eingebracht, vielen Dank! Ihre Eingaben ermöglichten es unter anderem, die Zugbeeinflussung so zu justieren, dass der Betrieb möglichst optimal ablaufen kann.

Die konsequente Harmonisierung von Technik und Vorschriften im europäischen Rahmen reduziert auch die Komplexität im Berufsalltag der Lokführer. Man muss sich bei Fahrten über die Landesgrenzen hinaus dann nicht mit zwei verschiedenen Systemen herumschlagen. Im Rahmen der aktuellen Verhandlungen mit der EU sprechen wir mit der EU-Kommission auch über eine kontrollierte Öffnung des internationalen Bahnverkehrs.

Zu dieser Öffnung hat sich unser Land gegenüber der EU eigentlich schon mit dem Abschluss des Landverkehrsabkommens vor über 20 Jahren bekannt. Der Bundesrat hat mit der EU bereits in den Vorgesprächen zu den Verhandlungen vereinbart, dass bei einer kontrollierten Marktöffnung das schweizerische Lohn- und Sozialleistungs-Niveau für die Lokführer und weiteres Bahnpersonal geschützt würde.

Die Sozialpartner inkl. VSLF wurden und werden in die Vorbereitung der Verhandlungen eng einbezogen. Für die konstruktive Mitarbeit des VSLF in der Konsultation möchte ich mich recht herzlich bedanken!

Die Schweiz hat ein dichtes Schienennetz und einen noch dichteren Fahrplan. Die Lokführerinnen und Lokführer spielen in diesem komplexen Transportsystem eine zentrale Rolle; sie sind systemrelevant. 

Der Bund will dem Berufsstand Sorge tragen und ihn in seiner Entwicklung unterstützen. 

Vielen Dank für alles, was Sie jeden Tag leisten!

https://www.uvek.admin.ch/uvek.html

Geschenk an Bundesrat Rösti: Eine ETCS Balise. Original vom Löchligut bei Bern, ausgebaut 13.2.2006.


Sehr geehrter Herr Bundesrat Rösti

Herzlich Willkommen an unsere Generalversammlung hier in Fribourg und vielen Dank für Ihre Interesse am Lokpersonal und dem VSLF.

Wir haben uns überlegt, wo wir Gemeinsamkeiten und Parallelen haben. 

  • Sie haben in Ihrer Funktion oft politisch Erdbeben, - wir haben das Schütteln der Bombi-Züge.

  • Sie sind an der Spitze des Departments, - wir an der Spitze des Zuges. 
    Wo wir Lokführer sind, da ist vorne.

  • Sie führen staatsmännisch, - wir elektrisch.

  • Sie haben die Verwaltung unter sich, - wir haben diese Verwaltung über uns.


Rede Alexander Muhm, Leiter SBB Güterverkehr


Rede Hubert Giger, Präsident VSLF

Der VSLF wurde 1876 in Herzogenbuchsee als Berufsverband des Lokomotivpersonals gegründet. Das war vor fast 150 Jahren. So feiern wir in zwei Jahren unser 150-jähriges Jubiläum. Das Bewerbungsverfahren für interessierte und motivierte Sponsoren wurde soeben eröffnet, wir freuen uns über Offerten und Ideen. 

Lokomotivführerin und Lokomotivführer ist ein Beruf mit Geschichte. Unser ehrenwerter Beruf hat schon viele Wandlungen mitgemacht. Vom Zweimann- zum Einmanndienst, über die Einführung von Zugsicherungen, der Entwicklung von Dampflokomotiven zur elektrischen Traktion bis hin zu volldigitalen Maschinen. Uns erschreckt eine Neuerung nicht mehr so schnell. 

Auch ist es heute absolut normal, dass wir auf Güterzügen mit 2‘000 Tonnen und auf Reisezügen mit bis zu 1'000 Personen mutterseelenallein unterwegs sind. Und daran ändert sich vorläufig auch nicht so schnell etwas.  

Und doch ist die Arbeit des Lokführers im Grundsatz noch immer dieselbe wie vor 150 Jahren. Geblieben ist der unregelmässige Dienst, die grosse Verantwortung, das Arbeiten ohne Vorgesetzte und eine sinnvolle und erfüllende Tätigkeit. Auch der Blick auf die Landschaft, die Natur und das Land zu allen Tages- und Jahreszeiten ist geblieben. Ausser man fährt immer häufiger durch die vielen langen und teuren Tunnel... 

Heute an diesem Samstag haben 31% der Lokführer frei, wovon ein Teil gestern noch bis spät in die Nacht gearbeitet hat. Somit wäre es maximal etwa 20% unserer Mitglieder überhaupt möglich, heute an dieser Generalversammlung teilzunehmen. Das wären ca. 500 Lokführer. Heute sind ungefähr ein Drittel davon anwesend. Und dies an einem freien Samstag, welcher für uns und unsere Familien und Freunde sehr wertvoll ist. Danke allen Kollegen für euer Interesse an unserem ehrwürdigen und fitten Berufsverband. 

Der VSLF ist politisch neutral. Wir vertreten unseren Beruf, zu den politischen Rahmenbedingungen kann jedes Mitglied seine eigene Meinung haben und kundtun. So wären wir als Lokführer grundsätzlich für den öffentlichen Verkehr eingestellt. Und gleichzeitig benötigen wir für den Arbeitsweg nur allzu unser Auto und die Zeit im Stau ist unsere Freizeit. Dies kommt besonders dann zum Tragen, wenn die Bahnen die jungen Lokführer dazu verpflichten, mit ihrem privaten Auto auf eigene Kosten verschiedene Depotstandorte abzudecken. Folglich würden wir natürlich auch den Strassenausbau unterstützen. Dieses Beispiel zeigt den Grund für unsere politische Neutralität exemplarisch.

In unserem Berufsverband gibt es unterschiedlichste Meinungen und Einstellungen. Das ist richtig und gut so. Dies hindert uns nicht daran, uns gemeinsam für bessere Arbeitsbedingungen für das Lokpersonal und alle unregelmässig arbeitenden Eisenbahner einzusetzen. Wir sind basisdemokratisch organisiert und bieten Verbindlichkeit.

Der VSLF hat sich als verlässlicher, fundierter und kompetenter Sozialpartner etabliert. Wir sind insofern nicht berechenbar, als dass wir unsere eigenen Meinungen und Überzeugungen abbilden und uns nicht in ein Schema zwängen lassen. Unsere Unabhängigkeit bietet uns diese wichtige Grundlage. 

Wir verhandeln über unsere eigenen Arbeitsbedingungen selbst und sind somit Arbeitnehmervertreter im wahrsten Sinne des Wortes.

Geschäftsjahr 2023

Zum Bericht des vergangenen Geschäftsjahres des VSLF, welches wir im Detail heute Nachmittag würdigen, ein paar Auszüge.

Wir haben innert 16 Jahren die Mitgliederzahl von 1‘165 auf aktuell über 2'500 Mitglieder mehr als verdoppelt.

Konkret hat sich beispielsweise bei der Thurbo AG die Mitgliederzahl im Jahr 2023 um 32% erhöht. In der Sektion Ticino haben sich die Mitgliederzahlen um 23% erhöht und über die letzten vier Jahre sogar verdoppelt. Den Erfolg in der Sektion Ticino und bei der TILO SA verdanken wir unserem jungen Sektionspräsidenten Pietro Pangallo und seinen Kollegen. Diese Leistung verdient einen Applaus. Grazie Pietro. 

Der Vorstand des VSLF arbeitet ausgezeichnet und die Zusammenarbeit im Team funktioniert. Sämtliche Funktionen sind gut besetzt und alle Bereiche agieren problemlos. Es ist eine wahre Freude. Und wohl verstanden, bis auf die Mutationsstelle sind alles aktive Lokführer. Ein Milizsystem par excellence mit Unterstützung unserer externen Partner. Ein Dankeschön für ihre Unterstützung.

Der VSLF vertritt bei den Normalspurbahnen in der Schweiz mittlerweile gut die Hälfte des Lokomotivpersonals, wobei ungefähr ein Viertel nicht in einer Gewerkschaft organsiert sein dürfte. Dieser hohe Organisationsgrad gibt uns die Legimitation für das Lokpersonal, und somit für uns selbst zu sprechen und zu verhandeln. Diese verantwortungsvolle Aufgabe werden wir auch bei den angedachten GAV-Verhandlungen bei der SBB AG wahrnehmen.

GAV / Verhandlungen 

Der VSLF ist Sozialpartner bei sieben grossen Normalspurbahnen in der Schweiz und verhandelt über die Gesamtarbeitsverträge GAV mit.

Interessant ist, dass wir wohl über die jährlichen Lohnerhöhungen der gesamten Unternehmungen verhandeln können, über das effektive Gehalt des Lokpersonals jedoch nicht. Das Lohnniveau der einzelnen Funktionen bestimmen, zumindest bei der SBB und BLS, einzig die Unternehmungen. Das bedeutet, dass die Firmen bestimmen, wem sie wie viel Lohn für welche Arbeit geben. 

Für die bahnspezifischen Berufe gibt es keinen Branchendurchschnitt, an dem man sich orientieren kann, denn die wenigen Unternehmungen sind die Branche selbst.

Vielleicht erklärt dieser Umstand auch, warum der Lokführer aus unserer Sicht nicht die ihm zustehende Entlöhnung erhält. Wir bieten immerhin total gut 6 Jahre Ausbildung, tragen grosse Verantwortung und haben weitreichendes Fachwissen, arbeiten im unregelmässigen Dienst, erlernen Fremdsprachen und tragen immer das Risiko, aus gesundheitlichen Gründen die Arbeit zu verlieren.

Die Höhe des Lohnes des Lokpersonals fällt bei den gesamtheitlichen Kosten eines Zuges praktisch nicht ins Gewicht. Denken sie an die Kosten für Rollmaterial, Infrastruktur, Unterhalt, Verwaltung und Innovation. 

Arbeitsbedingungen

Nur weil wir kein Homeoffice machen können, nur weil wir auf dem Arbeitsweg nicht arbeiten können, nur weil wir exakt auf die Minute im Geschäft erscheinen müssen und nur weil wir uns unsere Arbeit nicht selbst zuteilen können, verzichten wir nicht auf zeitgemässe und attraktive Arbeitsbedingungen. Oder auf eine Kompensation dafür. 

Was hat der Bundesrat in den strategischen Zielen an die SBB AG unter Punkt 3.1 vorgegeben? «Die SBB verfolgt eine fortschrittliche und sozialverantwortliche Personalpolitik, bietet attraktive Anstellungsbedingungen, die ihre Konkurrenzfähigkeit sicherstellen, und engagiert sich mit geeigneten Massnahmen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Sie erhöht den Frauenanteil im Unternehmen und insbesondere in Kaderpositionen.»

Wenn man die Attraktivität eines Berufes mit dem Frauenanteil gleichsetzt, geht es dem Lokpersonal mit rund 6% Frauen effektiv miserabel. Da stellt sich die Frage, warum insbesondere die Frauen besonders in Kaderpositionen gefördert werden sollen, gleich doppelt. 

Wichtiger ist die Vorgabe: «Massnahmen für Vereinbarkeit von Familie und Beruf». Diese Forderung des Bundesrates an die SBB begrüssen wir ausdrücklich. Obwohl solche Vorgaben für attraktive Unternehmen eigentlich selbstverständlich sein sollten und ein wichtiger Schlüssel zur Gewinnung von brauchbarem und treuem Personal ist. 

Der Traum der Bahnen und der Infrastrukturen nach absolut flexiblen Zügen, welche nicht mehr nach fixem Fahrplan verkehren, ist noch lange nicht ausgeträumt. Die Digitalisierung soll es möglich machen. Die Folge daraus ist der Wunsch nach ebenso flexiblem Personal, sprich Lokpersonal. Wenn die Züge flexibel fahren, kann dem Personal auch kein Dienstplan mehr abgegeben werden. 

Digitale Einteilungsprogramme sollen zukünftig dem Personal die Arbeit zuteilen. Die Abkürzungen für diese Programme lauten SOPRE, CAROS, RailCORE und IPP. Wie bei allen Bundesbetrieben sind das riskante Kostengräber. 

Es zeichnet sich ab, dass das System IPP bei der SBB am Schluss dazu zwingen wird, dass dem Personal ein Zeitfester statt einer verbindlichen Arbeitszeit zugewiesen werden muss. Hier sehen wir grosse Konfliktpotentiale. Denn wir sehen es nicht als unsere Aufgabe, für fehlendes Fachwissen und digitale Zwänge uns unser eigenes soziales Grab zu schaufeln. Wenn ein 12-Stunden-Zeitfester auch 12 Stunden Arbeitszeit ergibt, haben wir uns gefunden.

Grundsätzlich ist festzuhalten, dass die meisten Einteilungssysteme auf dem Prinzip beruhen: Den Letzten beissen die Hunde. So sehen keine wirtschaftlichen und sozialen Lösungen aus, welche die Zweiklassengesellschaft in den Unternehmungen minimieren soll. Wenn der Betrieb und die Finanzen die Parameter dominieren, erreichen wir keine wirklichen Fortschritte.

Zusätzlich dazu vernehmen wir, dass das Arbeitszeitgesetz AZG, welches im Grossen und Ganzen noch den Stand von 1971 hat, verschlechtert werden soll. Zur Erinnerung: Das Gesetz gibt immer noch eine 6-Tage-Woche vor und pro Ferienwoche sind 5 arbeitsfreie Tage vorgesehen. 

Im AZG und der entsprechenden Verordnung dazu sind zeitgemässe Anpassungen überfällig. Die massive Zunahme des Verkehrs in der Nacht, die höheren Belastungen im Dienst, die höheren Geschwindigkeiten und die längeren Arbeitswege sind legitime Gründe dafür. 

Und vielleicht sollte das Gesetz auch schlicht den gesellschaftlichen Gegebenheiten angepasst werden. Auch wenn ein paar touristische Seilbahnbetriebe an manchen saisonalen Tagen ein paar kleine Probleme damit haben könnten… 

Der VSLF hat anlässlich des Treffens mit dem UVEK über den internationalen Personenverkehr IPV Anpassungen beim AZG vorgeschlagen, auch um gleich lange Spiesse für ausländische und Schweizer EVU zu erreichen. 

Der VSLF ist leider nicht in der AZG-Kommission Vertretern. 

Nachwuchs

Den Letzten beissen die Hunde gilt auch zusehends bei der Rekrutierung neuer Lokführerinnen und Lokführer. 

Wir sehen uns aktuell mit einer grossen Pensionierungswelle konfrontiert. Die Rekrutierung für diesen harten und schönen Beruf ist nicht einfach und das Zeitalter der 100% Anstellungen über Jahrzehnte ist ebenfalls vorbei. 

Ein neuer Trend ist, dass immer mehr Lokführer sich weg vom Führerstand in die immer zahlreicheren Schreibtischstellen retten. Sie bauen sich ein zweites Standbein auf und kommen weg vom der immer monotoneren und belastenderen Schichtarbeit. Und dies oftmals noch zum höheren Lohn. Wenn dazu die Personalressourcen durch die Unfähigkeit der Planungsabteilungen nicht richtig auf die Züge verteilt werden, kann es schnell kippen. 

Die Rhätische Bahn RhB erlebt aktuell ihr Lokführer-Waterloo, wie die SBB 2019. Aktuell werden Lokführer von der BLS und anderen Bahnen an die RhB verliehen. Lokführer sind offensichtlich neu auch Leiharbeiter. 

Drei Faktoren machen den Beruf attraktiv und zukunftsfähig: Der Lohn, die Abwechslung und die Arbeitszeiten. Bei der Abwechslung und den Arbeitszeiten sind intelligente Lösungen gefragt. Diese müssen aber nicht zwingend digitaler Natur sein.

Warum können Lokführer von der BLS zur RhB, SOB-Lokführer aber nicht auf SBB-Zügen fahren und umgekehrt?
Warum können Thurbo-Lokführer nicht SBB-Züge fahren und umgekehrt?
Und warum können TILO-Lokführer nicht SBB-Züge fahren und umgekehrt?

Bei einzelnen Zügen geht eine vermischte Besetzung mit Lokpersonal scheinbar jeden Tag ohne Probleme. Bei den meisten Zügen ist es jedoch nicht möglich. Aus Prinzip. Die Antwort, warum es nicht geht, ist einfach: Man will nicht. Es würden Stellen aufgehoben werden und man würde die eigene Macht schwächen. 

Wenn wir den jungen Kolleginnen und Kollegen nicht mehr Abwechslung mit mehr Strecken und mehr Fahrzeugen ermöglichen, weil man bei der Ausbildung ein paar Rappen einsparen will, dann bezahlt man mit zunehmender Fluktuation.

Durch mehr Strecken- und Fahrzeugkenntnisse hat man automatisch mehr Flexibilität bei der Einteilung der Arbeit und für das Personal mehr Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Und nebenbei hat man mehr Stabilität und Flexibilität beim Personaleinsatz bei Störungen, Streckensperrungen und Bauarbeiten.

Bis heute werden diese Zusammenhänge nicht verstanden. Und man hat auch kein Interesse, es zu verstehen. Schade, aber solange die finanziellen Mittel für diese Doppelspurigkeiten da sind, wird es hier leider keine Fortschritte geben. 

ETCS / Digitalisierung Eisenbahn / automatische Kupplung

Ebenfalls grosse finanzielle Mittel erlauben es der Bahnbranche an verschiedensten digitalen Projekten zu arbeiten. Alles durch das BAV bewilligt und meist auch finanziert. 

Wir ersparen es uns heute, auf selbstfahrende Züge, automatisches Rangieren und weitere Visionen einzugehen. 

Die ganze Branche hat sich verrannt. Die vielen digitalen Systeme haben die Probleme nicht gelöst, sondern neue Schnittstellen geschaffen und grosse Kosten verursacht. ETCS beginnt den Betrieb ganz konkret zu behindern und löst Kosten im zweistelligen Milliardenbereich aus. Beides können wir uns eigentlich nicht leisten. 

Wir haben für Sie, Herr Bundesrat Rösti, ein ETCS-Dossier erstellt mit der gesamten Problemstellung von ETCS in der Schweiz und Europa. Bei so hohen Beträgen, welche wir hier ausgeben, ist das sicher eine interessante Lektüre für Sie. 

An dieser Stelle noch der Hinweis, dass man mit der automatischen Kupplung, welche mit grossen finanziellen Mitteln gefördert wird, wohl die Wagen direkt verbinden kann.

Die Bremsprobe muss aber trotzdem gemacht werden. Dazu soll ein digitales System zur Anwendung kommen. Ob alle Wagen bei der Bremsprobe mitmachen, soll mit der digitalen Wagenliste garantiert werden. Und eben diese digitale Wagenliste hat SBB Cargo vor grosse und substanzielle Probleme bei der Sicherheit gebracht. Dies ist mit ein Grund, warum das BAV SBB Cargo die Fahrlizenz entziehen wollte. Dasselbe Bundesamt, welches selbst auch die Aufsichtsbehörde ist. 

Bei den Bahnen und auch bei SBB Cargo gibt es gut ausgebaute Bereiche, welche einzig für Sicherheit, Qualität und Umwelt verantwortlich sind. Exakt diese Abteilungen wären dafür verantwortlich, dass es nicht so weit kommt. 

Wir schrauben einerseits den Sicherheitslevel beim ETCS ins Unendliche hoch und gleichzeitig relativieren wir zum Beispiel bei den mechanischen Bremsen. Einzelne Systeme sind auf dem Sicherheitsniveau von Atomkraftwerken und gleichzeitig hängt alles davon ab, ob der Lokführer die korrekten Daten eingibt. Und diese Daten kommen aus unzuverlässigen Systemen, welche in etwa den Wetterprognosen von Übermorgen entsprechen.

Wenn dazu noch der Sicherheitsanspruch beim Personal durch gedankenlose Prozesse aufgeweicht wird, wird es gefährlich. Die Boeing-Werke können davon erzählen.

Wenn man, wie vor einem Monat in Zürich, um drei Uhr morgens mit einem leeren Extrazug nach Luzern an die Fasnacht fährt, weil die Passagiere nicht in den abgeschlossenen Bahnhof kamen, ist dies das Ergebnis von Prozesstreue und dem Ausschalten des gesunden Menschenverstandes. Das ist nicht gut. 

Innovation

Es gibt aber auch geniale digitale Lösungen. Eines ist das Programm vPro auf den Fahrplänen des Lokpersonals. 

Initiiert von einem Lokführer in Zusammenarbeit mit Profis vom Betrieb, der Infrastruktur und des Fahrplans. Ein oneSBB-Projekt. Vermutlich das einzige bis jetzt. 

Der Grundgedanke ist nicht, dass man die Züge mit Signalen, ETCS, TMS und anderen Systemen wie bei einer Modelleisenbahn von aussen zu steuern versucht. Auch soll nicht die Flexibilität des Fahrplans angestrebt werden. Im Gegenteil. 

Dank Perfektion und genauem Einhalten des Fahrplans durch den Lokführer, fahren die Züge exakter. Dies garantiert mehr Stabilität, mehr Vorhersehbarkeit, mehr Züge und somit mehr Kapazität. Wenn alle Züge exakt auf einen Knoten zufahren, können diese logischerweise besser und fliessend eingefädelt werden. 

Grundlage ist, dass der Lokführer bisher nach Erfahrung und aufgrund von Rundungsverlusten in der Bandbreite von Minuten gefahren ist. 

Der Lokführer kann viel besser fahren, braucht dazu aber die nötigen Live-Informationen. Dies hat bisher gefehlt. 

Mit der Pünktlichkeitsanzeige mit + und – Sekunden kann mit maximaler Präzision auf die Sekunde gefahren werden. 

Die vPRO-Geschwindigkeitsspalte erlaubt es dem Lokführer bei pünktlicher Fahrt die errechnete Durchschnittsgeschwindigkeit zu fahren. Nach Erfahrung, Streckenprofil und externen Faktoren.

Das spart grosse Energiemengen ein, ergibt eine flüssigere und angenehmere Fahrt. Dem Lokführer gibt es die Gewähr, dass sein Zug nicht zu früh oder zu spät unterwegs ist und einen anderen Zug dadurch behindert.

Damit wird der Mensch und seine Erfahrung ins Zentrum gesetzt und sinnvoll genutzt. Und nebenbei wird der natürliche Spieltrieb genutzt.

Das System hat leider zwei ganz grosse und nicht korrigierbare Nachteile:Zum einen funktioniert das System perfekt und es bedarf keiner jahrelanger Bewirtschaftung. Zum andern hat es fast nichts gekostet. Es ist sozusagen gratis. 

Kapazitäten schaffen, Präzision erreichen und effektiv Energie sparen in einem. Und das ohne Millionen- und Milliardeninvestitionen.

Und wohlgemerkt, wir fahren jetzt dank vPro genauer als die Japaner. Dies im Mischverkehr von Güter-, S-Bahn- und Fernverkehr. Das ist Schweizer Innovation. 

Schluss 

Wir bedanken uns bei Ihnen, Herr Bundesrat Rösti, für Ihr Interesse am Lokpersonal und am VSLF. Es kommt jedes Jahr auch eine stattliche Anzahl von Gästen aller Hierarchiestufen von allen Bahnen, der Industrie und weiterer Partner an unsere Generalversammlung. Das ist nicht selbstverständlich und wir erachten es als eine grosse Wertschätzung gegenüber dem Lokomotivpersonal. 

Mit Wertschätzung allein sind keine Probleme gelöst. Aber Respekt und Anstand ist immer ein guter Grundstock, auf den man konstruktiv aufbauen kann. Das ist in etwa die schweizerische Sozialpartnerschaft, welche wir pflegen. 

Vor zwei Jahren haben wir bei SBB Cargo International erlebt, dass ohne Einigung für einen neuen GAV, die Arbeitgeberseite einfach mit den anderen Sozialpartnern einen neuen GAV unterzeichnet hat. Juristisch ist dies vielleicht möglich, aber sozialpartnerschaftlich und unternehmerisch eine Bankrotterklärung. Das Personal wird es nicht als Wertschätzung seiner Arbeit verstehen. 

Hier stellt sich die Frage, was wir für Wünsche und Forderungen an unseren Departementschef des UVEK haben. Eine gute Frage. 

Wir sehen viele Leerläufe, wir sehen viel Gärtchen-Denken, wir sehen viele unnötige Parallelen. Wir haben immer mehr Vorschriften, Normen, Reglemente und Empfehlungen. Und wir haben einen immer grösseren Finanzbedarf für nur bedingt gestiegene Leistungen.

Die Automatisierungen und Digitalisierungen haben ihre Versprechen nicht gehalten und noch heute sind keine weltbewegenden Neuerungen zu sehen. Aber riesige, wiederkehrende und unnötige Kosten.

Die Eisenbahn kostet etwas und bringt volkswirtschaftlich viel. Doch das System ist weitgehend fertig erfunden. Guten und soliden Eisenbahnverkehr zu produzieren ist nicht spektakulär und auch langweilig. Aber sinnvoll. 

Leider ist die Eisenbahn auch ein Tummelplatz von dem geworden, was sich ein KMU niemals leisten könnte. Wir erkennen zu wenig Unternehmergeist bei den Bahnen. Alle Entscheidungsträger sind nun mal keine Eigentümer, sondern Angestellte.

Vom Bundesamt für Verkehr, über die Verwaltungsräte und Geschäftsleitungen bis weit in der Hierarchie hinunter muss sich wieder die Frage gestellt werden: 
- Bringt es etwas, 
- brauchen wir es 
- und würde es auch ohne gehen?

Was wir brauchen, ist motiviertes Personal, einfache und logische Vorschriften und eine einfache, solide und sichere Technik. Den Rest kann man getrost abbauen. 

Aktuell sehe ich keine Chance, diese Ziele zu erreichen. Im Gegenteil. Vielleicht in 5 Jahren, wenn alle Konzepte und Visionen ihre wahren Kosten und Probleme zur vollen Entfaltung bringen, könnte es für den VSLF interessant werden, mit seinem unabhängigem Fachwissen Lösungen einzubringen. Wir bieten uns an.

Unser Ziel als Lokomotivführer ist es, auf einem anständigen Niveau produktiv zu sein. Jede Unterstützung ist willkommen. 

Danke für Ihr Interesse.

Hubert Giger
Präsident VSLF 


Rede Raoul Fassbind, Vorstand VSLF

Sehr geehrte Gäste, geschätzte Kolleginnen und Kollegen

Auch Ich möchte Euch alle sehr herzlich an unserer Generalversammlung hier im pittoresken Fribourg begrüssen.

Die einen erinnern sich vielleicht, meine letztjährige Rede drehte sich im Kern um das Thema Angst und welche irrationalen Verhaltensmuster daraus hervorgehen können. Ich versuche nun diesen Faden wieder aufzunehmen und einen möglichen Lösungsansatz daraus herzuleiten. 

Um der Digitalisierung den notwendigen Raum zu geben, erkundigte ich mich also bei ChatGPT, wie mit Angst umzugehen wäre. ChatGPT nennt Antworten wie Gelassenheit, Selbstvertrauen, Akzeptanz, Flexibilität. Interessanterweise alles Kernkompetenzen des Lokpersonals. 

Ich persönlich, und aufgepasst, das wird der heutige rote Faden, versuche mit mutigem Auftreten mich dem gegenüberzustellen. Was ist also Mut?

Mut ist die Eigenschaft über sich selbst hinauszuwachsen, Herausforderungen zu bewältigen und aus gewohnten Denkmustern auszubrechen. Es erfordert Mut sich seinen Ängsten zu stellen und trotz der Unsicherheiten voranzuschreiten, eingeschlagene Wege zu hinterfragen und gewohnte Situationen neu einzuordnen, sich gegen Konventionen und Normen zu erheben, aber auch Alternativen aufzuzeigen und für diese einzustehen.

Im Alltag und im Berufsleben begegnen wir ständig Irrationalitäten, Unlogiken und Widersprüchen. Gerade im komplexen Umfeld eines Bahnbetriebs wird man laufend damit konfrontiert. Einerseits sind die betrieblichen Situationen und fachspezifischen Themen herausfordernd, andererseits ist der Anspruch an das Sicherheitsniveau einer der höchsten. 

Während wir also versuchen den wohl komplexesten und zuverlässigsten Eisenbahnverkehr der Welt zu produzieren, zucken wir doch bei jedem Zwischenfall mit rehgleicher Schreckhaftigkeit zusammen und betreiben enorme Aufwände, um diese mit  Vehemenz zu verhindern. Die daraus resultierenden Normen, Prozesse und Vorgaben lassen die betriebliche Qualität allerdings immer stärker leiden.  

Erlaubt mir einen kleinen, möglicherweise obsoleten Exkurs zur Darstellung der Sicherheitsabteilungen und derer vermeintlicher Denkmuster im Bahnbetrieb. 

Die staatliche Untersuchungsbehörde SUST hat sich im Rahmen der letztjährigen GV präsentieren können, sie untersteht indirekt dem Bundesrat und ist administrativ dem UVEK angegliedert. Sie gilt als unabhängig, klärt in erster Linie Zwischenfälle auf und erarbeitet daraus Handlungsempfehlungen.

Gesamtheitlich übergreifend gibt das Bundesamt für Verkehr die Spielregeln heraus, sieht sich aber als Aufsichtsbehörde gleichermassen stark mit der daraus resultierenden Verantwortung konfrontiert. Es ist deshalb ein beliebter Mechanismus geworden, die Bahnen selbst mit der Erstellung von Prozessen und Vorgaben zu beauftragen, aber auch die Überwachung an diese zu delegieren. Das BAV überwacht also nur noch die Überwachung, kann diese aber offen kritisieren und fast beliebig Schuld- und Verantwortungsfragen zuweisen. 

Die Bahnen haben deshalb diverse Sicherheitsstellen eingerichtet. Bei der SBB beispielweise auf Stufe Konzern, aber auch die zahlreichen Divisionen betreiben eigene semiunabhängige Sicherheitsapparate. Sie dienen der Analyse von Ereignissen und deren Gewichtung, bestenfalls geben sie sogar in Zusammenarbeit mit den Fachführungen Handlungsanweisungen heraus. Natürlich immer im Kontext der resultierenden Verantwortlichkeit und des erwartbaren Konfliktpotentials. Die schwierigen Fälle werden dem mit Knowhow gesegneten Betriebspersonal zur situativ adäquaten Lösungsfindung angeboten. 

Was mich dazu bringt, mich zu fragen, was denn dem Betriebspersonal fehlt, damit es nicht auch die konfliktfreien oder die einfacheren Lösungsansätze adäquat selbst erkennt? Das Knowhow kann es nicht sein, die Selbständigkeit auch nicht. Ist es die fehlende hierarchische Kompetenz, die fehlende Zeit sich langfristig mit Problemen beschäftigen zu können oder etwa die zu niedrige Einordnung seiner Funktionsstufe im Lohnsystem? 

Wenigstens die höhere Funktionsstufe könnte man geben, die Kosten spart man ja bei den dann überflüssig gewordenen Sicherheitsabteilungen wieder ein. Die anderen beiden Punkte machen vermutlich personalpolitisch zu schwerwiegende Eingriffe notwendig. Und am Ende soll ja dann immer noch jemand den Zug fahren.

Genug der Polemik, wo war ich? Ah ja, genau, bei Mut. 

Der SBB CEO Vincent Ducrot hat letzte Woche beispielsweise Mut bewiesen, als er offen die Entwicklung und Finanzierung neuer Bahnprojekte und die Rolle der Politik dahinter kritisierte. Ob er vor seinem mutigen Handeln zuerst Angst hatte? Ich bin mir nicht sicher, lassen wir das im Raum stehen. Aber immerhin versucht er sich gegen einen eingelebten Mechanismus aus Lobbyarbeit und gesellschaftlichem Konsens zu wehren. Chapeau. 

Ganz richtig erkannte er den Zusammenhang zwischen einem grösseren Bahnnetz und steigendem Unterhaltsaufwand. Er unterstützte in seiner Argumentation aber auch einen dichteren Taktverkehr mit vielen zusätzlichen Zügen. 

Aber auch Züge gehen hin und wieder kaputt und belasten bei der Fahrt die Infrastruktur. Es gibt also auch dort eine Korrelation zwischen Mehrverkehr und mehr Unterhalt, die ging aber scheinbar vergessen. Kann passieren.

Das zeigt exemplarisch, dass Mut allein keine Probleme lösen kann. Gerade das komplexe Umfeld der Eisenbahn benötigt sehr viel Fachkenntnis und Weitsicht. Halbspontane Lösungen wie teure neue Bahnstrecken sollen wohl eher den umweltpolitischen Faktor der Verkehrsverlagerung bedienen. Neue Konzepte wie der von Vincent Ducrot vorgeschlagene schweizweite Viertelstundentakt hören sich zwar verlockend an, es geht dabei aber leider auch vergessen, dass die Bahninfrastruktur in den letzten dreissig Jahren auf das Konzept Bahn2000 ausgelegt wurde. 

Die gesamte Infrastruktur mit neuen Strecken, mit neuen Weichen, mit neuen Spurwechseln, mit neuen Signalisierungen und neuen Bahnhofsanlagen wurde explizit auf das Knotensystem ausgelegt.

Dieses soll nun über den Haufen geworfen werden. Für den flächendeckenden Viertelstundentakt sind also wieder neue Strecken, neue Weichen, neue Spurwechsel, neue Signalisierungen und neue Bahnhofsanlagen notwendig. Ganz nebenbei werden wohl die «alten» neuen Infrastrukturen weiterbetrieben, was wiederum die Unterhaltsaufwände erhöht. 

Es zeigt sich also allein in dieser kurzen oberflächlichen Betrachtung, dass ein Bahnverkehrssystem halt doch etwas komplexer ist als vermeintlich gedacht. Ist es also mutig, ein bestehendes und ziemlich gut funktionierendes Konzept öffentlich anzuzweifeln und ein neues vorzuschlagen, welches vergleichbare Mängel und Schwerpunkte aufweisen wird und dabei nicht mal günstiger ist? 

Wäre es mutiger, für das jetzige Konzept einzustehen und die Grenzen des Systems zu akzeptieren? Oder wäre es sogar am mutigsten die gesamte Bewirtschaftungs- und Beschäftigungsmentalität über den Haufen zu werfen und wieder einfacher und aufs Kerngeschäft fokussierter zu werden. Also aus der aktuellen Ausgangslage das Optimum herauszuholen? 

Ich weiss es nicht, ich denke nur laut, aber es spielt auch keine allzu grosse Rolle was ich hier äussere, in Bern habe ich noch weniger Einfluss als der SBB CEO. Aber ich rechne ihm hoch an, dass er wenigstens versucht die aktuellen Irrwege zu hinterfragen.

Mir fällt auch auf, dass diverse weitere Lösungsansätze nicht oder nicht konsequent verfolgt werden. Mir fällt auf, dass es sehr leicht fällt, sich mit Problematiken zu beschäftigen und falls sich diese unangenehm entwickeln, es noch leichter fällt, diese zwischen Tisch und Bank fallen zu lassen. Mir fällt auf, dass Mut schnell verfliegt, sobald Position bezogen werden muss. Sobald Verantwortung anfällt. Sobald eventuell eine partizipierende Partei kompromittiert werden könnte; nur aus Angst davor sich rechtfertigen zu müssen. Es darf doch nicht zu viel verlangt sein unkonventionell zu denken und bestehende Dinge zu hinterfragen?

Vor gerade mal 20 Jahren war es noch die Regel, dass man Lokführer beinahe dazu zwingen musste, in die Pension zu gehen. Heutzutage sehnen sich die Älteren nach der Pensionierung, je früher, desto besser. Viele Jüngere bauen sich zweite Standbeine mit mehr Abwechslung, mehr Freiheiten und mehr freien Wochenenden auf. Bei der internen Bildung, bei der Infrastruktur, bei den Planungen für Personal und Lokomotiven, auf der Einteilung, auf der Lenkung oder sonst irgendwo. Hinzu kommt eine verstärkte Fluktuation weg vom Beruf, weg von der Bahn.

Woran liegt es, dass ein Traumberuf sich innerhalb weniger Jahre dermassen stark vom Begriff Traumberuf distanziert?

Es fällt auf, dass nicht nur das Lokpersonal von diesem Wandel betroffen ist. Das Problem stellt sich ebenso beim Lehrpersonal, bei Ärztinnen und Ärzten, beim Pflegepersonal und vielen anderen traditionell einst wertgeschätzten Berufen. Es sind grundsätzlich noch immer grossartige Berufe an der Front und im direkten Austausch mit Menschen. Sie sind sinnvoll, systemrelevant und erfüllend. 

Zwischenzeitlich haben sich jedoch überall Symptome wie neue Prozessstrukturen, strengere Normierungen, engere Spielräume, steigender Kostendruck, konstruierter Wettbewerbsdruck und sinkende gesellschaftliche Wertschätzung breit gemacht. Dies zeigt sich durch Zunahme von Bürokratie, Apps, Hilfsmitteln, Effizienzsteigerungen, Scheinergonomie, fehlendem Respekt und dem Optimierungsdrang auf jegliche Art und Weise. Und natürlich stets überwacht von einem vollumfassenden Controlling. Eingeführt und betrieben mit spezifisch dafür geschaffenen Angestellten in den daraus entstandenen Berufsfeldern mit wenig Nähe zu den eigentlichen ursprünglichen Jobs. Man generiert also Kosten, um Kosten zu sparen, irgendwann ist die Zitrone aber ausgepresst.

Und schlussendlich fällt nun überraschenderweise dann doch noch auf, dass es immer schwerer wird für die ursprünglichen wichtigen Verschleiss-Berufe motiviertes Personal zu gewinnen, während bräsige Verwaltungs- und Beratungsberufe davon überrannt werden.

An dieser Stelle nochmals kurz ein Dankeschön für den zehnjährigen Aufstieg, aber ist da nicht noch Luft nach oben? 

Die Unternehmungen scheinen zu wissen, dass es dem Lokpersonal im Gegensatz zu Büroangestellten nicht möglich ist, frei unter diversen Arbeitgebern auszuwählen. Auf diese Karte der Wettbewerbslosigkeit wurde lange gesetzt, doch sie wird nutzlos, wenn sich nur noch die wenigsten langfristig für diesen Beruf entscheiden. Der VSLF ist in seiner Rolle als Sozialpartner gerne dabei behilflich, diesen Missstand zu beheben.

Gerade in Anbetracht dessen, dass das in absoluter Perfektion arbeitende Lokpersonal besonders im Fokus steht. Und das ist nicht als Übertreibung gedacht. Jede Minute oder sogar jede Sekunde unserer täglichen Arbeit wird erfasst, registriert, zugeteilt, bewertet und hochgerechnet. Jede Handlung wird überwacht und die mangelhafte Fehlerkultur setzt voraus, dass man sogar beim kleinsten Fehltritt sich selbst anzeigen und rechtfertigen muss. Die Angst vor Repressalien ist dabei grösser als die Freude auf Unterstützung und Aufarbeitung.

Wenn man also permanent nur als mögliches Optimierungs- und Flexibilisierungsobjekt in Excel-Tabellen erscheint, wenn jede Minute Wegzeit zu berechenbaren Produktivitätsverlusten führt und man nur noch als Kostenfaktor und Sicherheitsrisiko betrachtet wird, dann zeugt dies von fehlender Wertschätzung, sinkender Attraktivität und tieferer Motivation. 

Diese negativen Faktoren gilt es auszugleichen. Probierts doch mal mit mehr Geld oder weniger Arbeitszeit, dann gibt es auch wieder mehr Spielraum für Sparübungen des Controllings. Und das generiert dann auch die Arbeitsplatzsicherheit fürs Controlling. Win-win.  

Im Übrigen ist die Lohnsumme des Lokpersonals im Gesamtkontext aller Lohnsummen und der gesamten Betriebsaufwände effektiv eher marginal. Eine deutliche Optimierung würde rasch dafür sorgen, dass das Ungleichgewicht zwischen Verwaltungspersonalüberschuss und Fachkräftemangel ausgeglichen wird, seid mutig, ich bin zuversichtlich, dass das klappt.

Apropos mutig, es gibt unzählige weitere Bereiche, in denen mutiges, unkonventionelles und unkonzeptionelles Handeln Erfolge bringen kann.

Beispielsweise sah sich der VSLF letzten Herbst mit einem unverschämten anonymen Drohbrief gegen eine einzelne Kollegin konfrontiert. Sie wurde in ihrer Fachkompetenz, ihren privaten Verhaltensmustern, ihrer Familienplanung, ihrer Gesundheit und ihren Karriereplänen kompromittiert. 

Grundsätzlich bietet diesbezüglich der Arbeitgeber zwar Massnahmen wie das vertrauliche Meldewesen oder die Eskalation über Vorgesetzte oder über HR an. Wir haben uns aber entschieden, die Situation im Rahmen eines grossen Gremiums mit dem Einverständnis der Betroffenen in ihrer Anwesenheit offen anzusprechen. Vermutlich war der Verfasser des feigen Briefes, der sich bis heute nicht zu erkennen gab, zwar nicht anwesend, aber die Unterstützung und die grosse Empörung zeugten davon, dass der mutige Entscheid der öffentlichen Thematisierung der richtige Weg war. Die Unterstützung für die Kollegin war überwältigend, die Empörung authentisch und gerechtfertigt.

Ich persönlich war anfangs dafür, die Situation zu verschweigen und dem offensichtlich komplexbehafteten Misogyn keine Plattform zu bieten. Zu gross war mir das Risiko, dass die Situation ausser Kontrolle geraten könnte. Ich war nicht mutig, ich wurde eines Besseren belehrt. 

Eine andere Situation stellte sich vor einiger Zeit in der Zentralschweiz dar als sich eine Kollegin von einem hierarchisch überlegenen Kollegen wohl aufgrund seiner intimen Gespräche und Fragen sowie seinem Hang zu latenten Berührungen an der Schulter belästigt fühlte. Sie wählte den Dienstweg. Stand heute sind noch immer beide bei der SBB angestellt, jedoch beide nicht mehr an ihrem angestammten Arbeitsort. Was war da der Lösungsansatz? Kompromiss, Leugnung, Verschleierung, Klärung? Hätte Mut in dieser Situation weitergeholfen? Wenn ja, in welcher Art und Weise? 

Ich kann es nicht genau sagen. Vielleicht der Mut eine unangenehme Begebenheit bilateral anzusprechen oder vielleicht der Mut sich allein einer hierarchisch überlegenen Person zu stellen? Ich denke nicht. Ich gehe davon aus, dass die Situation eskalierte, da es als Frau sehr schwierig sein kann, sich aus dieser Situation überhaupt korrekt herauszulösen. 

Zu stark sind die historischen Prägungen. Als Frau hat man das traditionell nun mal hinzunehmen, alles andere wäre überreagiert. Zu stark verwurzelt sind die Haltungen, dass man eine Frau berührt und dies als kollegiale Geste oder als Kompliment verkauft. Und bei gleichem Verhaltensmuster gegenüber einem männlichen Kollegen sieht man sich stattdessen beinahe mit seiner eigenen theoretischen Homosexualität konfrontiert. 

Ihr seht, dies ist ein breites Betätigungsfeld um durch mutige Ansätze aufzufallen. Oder auch nicht. Gehen wir nicht in dieser Geschlechterdebatte unglaublich verloren? Wie chauvinistisch muss man sein um zu glauben, dass eine Frauenquote die Vernachlässigung und Unterdrückung über Jahrhunderte kompensiert. Wie naiv zu glauben, dass eine Quote den Fachkräftemangel behebt? Zumal die Quote nicht mal zwingend dazu führt, dass für offene Stellen adäquates Personal generiert wird. Sofern dieser Luxus in Anbetracht des unglaublichen Fachkräftemangels oder eben des Verwaltungspersonalüberschusses überhaupt anwendbar wäre. 

Es ermöglicht aber auch zusätzliches Konfliktpotential zwischen vermeintlich privilegierten und vermeintlich übergangenen Menschen. Wer bereits einmal eine generische HR-Antwort auf eine abgelehnte Bewerbung erhalten hat, kann sich in etwa vorstellen, wie gross der Interpretationsspielraum ist. 

Wäre es nicht erstrebenswert ein harmonisches gesellschaftliches gleichberechtigtes kontemplatives gewinnbringendes synergetisches Gesamtbild zu erschaffen? 

Nennen wir es gegenseitigen Respekt. Nennen wir es Chancengleichheit.

Übrigens: Wer heute Nachmittag dem internen Teil der GV beiwohnt wird feststellen, dass der Vorstand des VSLF ausschliesslich aus Männern besteht. Ist das ein Problem? Nein. Einerseits rekrutieren wir unser Personal aus dem Pool, den die Arbeitgeber zur Verfügung stellen, andererseits brauchen wir keine Frauenquote, weil wir keine Quotenfrauen haben oder haben wollen. Wer bei uns mitwirkt tut dies aufgrund von Fachkompetenz und Charakterstärke.

Vielen Dank.


Rede Matthieu Jotterand, Präsident Sektion Genf

Sehr geehrte Gäste,
Sehr geehrte Mitglieder, 

Ich werde ein paar Worte als Präsident der Sektion Genf des VSLF an Sie richten, einem Kanton, in dem der Bahnverkehr in den letzten Jahren einen immensen Aufschwung erlebt hat. Schuld ist hauptsächlich ein Projekt, von dem wahrscheinlich jeder hier in irgendeiner Form schon gehört hat, die "CEVA", die sich zum Léman Express gemausert hat. 

In der Romandie haben wir die Entwicklungen im Eisenbahnbereich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verschlafen und wachen nun mit einem Ruck auf. Ein unangenehmes Erwachen, wenn man den Berg betrachtet, den es in Bezug auf den Nachholbedarf im Bahnverkehr zu erklimmen gilt!

Die Strecke Genf-Lausanne - 60 km lang - braucht zwingend eine Verdoppelung der Kapazität. Wir werden ein Jahrhundert benötigen, dies abschnittsweise zu tun, obwohl die Länge mit der Bahn 2000-Strecke Bern-Olten vergleichbar ist!

Der Ausbau der regionalen Infrastrukturen für den Güterverkehr und die notwendige Verkürzung bestimmter Fahrzeiten, ganz zu schweigen von der heiklen Modernisierung der Eisenbahnknotenpunkte, werden das Schienennetz in eine Dauerbaustelle verwandeln. 

Eines ist also sicher: Der Schienenverkehr wächst und dieser Trend steht zweifellos erst am Anfang, wenn man die notwendige Verlagerung von der Straße auf die Schiene in Betracht zieht, die in den nächsten Jahrzehnten stattfinden muss.

Und in der Mitte befindet sich der Eisenbahner! Auch wenn einige Politiker glauben, dass die Automatisierung alle Probleme lösen wird, sind wir davon überzeugt, dass alle hier anwesenden Lokführer die AHV vor den autonomen Zügen erleben werden!

Wir Eisenbahner haben also das Glück, in einem Wachstumsbereich tätig zu sein, in dem es auch in den nächsten Jahrzehnten noch reichlich Arbeit geben wird. Eine Chance jedoch, die trügt, da sie mit einem ständigen Druck auf die Arbeitsbedingungen verbunden ist.

Daher möchte ich in einigen Worte auf die Arbeitsbedingungen eingehen (insbesondere die Arbeitszeit), welche einerseits nötig sind, um die Mitarbeiter im Unternehmen zu halten - und zwar bei guter Gesundheit! - und andererseits für die Rekrutierung von Nachwuchskräften.

Generell herrscht im Bereich öffentlicher Verkehr in der Schweiz ein gravierender und lang anhaltender Personalmangel. Viele Verkehrsunternehmen können seit mehreren Jahren nicht mehr alle Leistungen und Fahrten abdecken oder es werden sogar ganze Linien aus Personalmangel eingestellt. 

Bei der Eisenbahn ist die angespannte Personalsituation spürbar, auch wenn sie sich in den letzten Monaten etwas entspannt hat. Denn die Arbeitsbedingungen "auf eigener Strecke", die etwas höheren Löhne und die für einen Teil der Beschäftigten leidenschaftliche Seite des Berufs ermöglichen eine etwas leichtere Rekrutierung als im Straßenverkehr. 

Trotzdem mussten in den letzten Jahren Züge gestrichen und Angebotserweiterungen verschoben werden, weil es nicht genügend Personal gibt. Bemerkenswert ist auch, dass die Löhne während der Ausbildung stark gestiegen sind, was beweist, dass sich der Nachwuchs nicht (nur) von Eisenbahnträumen ernährt. 

Wie war das mit den Angebotserweiterungen? Kommen wir noch einmal kurz darauf zurück. Im Regionalverkehr üben die Besteller nämlich einen starken Druck aus, die Taktzeiten zu erhöhen und die Zeitfenster auszudehnen, insbesondere in städtischen Gebieten. 

Ich nehme das Beispiel Genf, aber diese Tendenzen sind auch anderswo zu beobachten. Der 2019 eröffnete Léman Express hatte als mittelfristiges Fahrgastziel 50'000 Passagiere/Tag. Anfang 2024, nach nur fünf Betriebsjahren, sind es 80'000. 

Die Züge quellen über und die Nachfrage, die in der Umgebung von Genf, aber auch in Annemasse und Annecy, verteilt sich auf alle Wochentage und Tageszeiten. 

Der Kanton Genf möchte das Angebot durch den Einsatz von Viertelstundenzügen auch auf weniger zentral gelegenen Streckenabschnitten erweitern - die ganze Woche einschließlich Sonntagabend, Tag und Nacht!

Und in der Mitte steht der Eisenbahner!

Um es klar zu sagen: Nachtarbeit hat es bei der Eisenbahn schon immer gegeben und sie ist ein fester Bestandteil unseres Jobs. Es gibt jedoch verschiedene Arten der Nachtarbeit und Anpassungen sind möglich und sogar notwendig. 

Doch insbesondere seit Beginn dieses Jahrhunderts hat der Verkehr in der Nacht zugenommen. Vor allem Regionalzüge fahren spät abends und früh morgens oder sogar die ganze Nacht hindurch. Die entsprechenden Dienstschichten werden sehr theoretisch und ohne Rücksicht auf die Belastung des menschlichen Körpers durch diese Nachtstunden gezeichnet. 

Teilzeitarbeit ist heute fast schon zur Norm geworden, manchmal selbst gewählt, oft aber auch gezwungenermassen, was jedenfalls eine deutliche Gehaltseinbuße bedeutet. Die Arbeitsmodelle bleiben insgesamt extrem starr und es liegt am Lokführer, sich anzupassen. 

 

Die Digitalisierung wurde nur zum Vorteil des Arbeitgebers eingeführt: Unendliche Möglichkeiten, die Touren abzuändern und optimieren der Arbeitszeit (und der damit verbundene tatsächliche oder erhoffte Produktivitätsgewinn). Die digitalen Hilfsmittel, welche den Arbeitnehmern zugute gekommen wären, um Schichten zu ermöglichen, die besser zu ihnen passen, wurde von Anfang an aufgegeben oder vergessen. 

Wenn man bedenkt, dass diese Software-Entwicklungen parallel zum wissenschaftlichen Nachweis stattfand, dass Nachtarbeit wahrscheinlich krebserregend ist, genauso wie z. B. Blei, handelt es sich sogar um eine Pflicht zum Schutz der Gesundheit der Beschäftigten, der die Eisenbahnverkehrsunternehmen nicht nachkommen.  

Kurzfristig ist dies ein Problem der Angestellten, langfristig stellt sich das Problem aber auch für das gesamte System des öffentlichen Verkehrs und damit natürlich auch für die Nutzerinnen und Nutzer. Es liegt also im Interesse der Öffentlichkeit, die Schicht-Berufe auch für die Arbeitnehmer sinnvoll zu gestalten. 

Und zwar heute. Weil wir es sonst in der Schweiz nicht schaffen, das in vielen Städten gewünschte Angebot an öffentlichen Verkehrsmitteln zu 100 % zu produzieren. Mit dem Ausscheiden der Babyboomer ist es wahrscheinlich, dass dieses Problem auch die wichtigsten Bahngesellschaften betreffen wird. Einige Regionalgesellschaften sind bereits betroffen. Auch die Zugausfälle aufgrund von Personalmangel während Covid, selbst bei den größten Bahngesellschaften, sind unentschuldbar, auch wenn der Kontext sehr speziell war. 

 

Es ist höchste Zeit, dass auch die Arbeiter, die in der Produktion tätig sind, ihren Anteil an den Früchten der "Digitalisierung" erhalten. Nehmen wir als Beispiel die unregelmäßigen Arbeitszeiten, die einen großen Teil der Arbeitsbedingungen ausmachen. 

Die Arbeitgeber haben die Dienstpläne "digitalisiert", um sie nach Belieben ändern zu können. Um die Arbeitszeit minutengenau berechnen zu können. Um die Produktivität zu steigern. Dies hätte auch genutzt werden können, um bestimmte Arbeitszeiten gesünder zu machen, um Rotationen zu ermöglichen, die besser auf die Bedürfnisse jedes Einzelnen abgestimmt sind. Bis heute ist daraus nichts geworden. 

Auch wenn unregelmäßige Arbeitszeiten hart sind und einen höheren Zeitausgleich als heute verdienen, haben sie auch Vorteile. Ich bin nach wie vor fest davon überzeugt, dass es durchaus möglich ist, dass EVUs für ihre derzeitigen und künftigen Mitarbeiter attraktive Arbeitgeber werden oder wieder werden. 

Eine Verkehrsverlagerung, die den sehr starken Ausbau des öffentlichen Verkehrs bedingt, wird nur mit Anpassungen der Arbeitszeiten und Touren möglich sein.

Im Hinblick auf die Verlagerung müssen wir ein robustes System haben, in dem die Beschäftigten einen Mehrwert und keine Belastung bedeuten, das scheint logisch zu sein. Wird dies auch gelebt? Nicht wirklich, gelinde gesagt. 

Während der Lokführer auf die Minute genau geplant wird, in jedem Moment und mit präziser Geolokalisierung, profitiert ein anderer Teil der Angestellten in vollem Umfang von den Auswirkungen der Digitalisierung. Telearbeit, neue "digitale" Projekte, deren einzige Grundlage dieser Aspekt und die heilige Innovation sind und nicht wirkliche Bedürfnisse. Es sind Menschen, die von den Nutzern und Steuerzahlern bezahlt werden, ohne dass wirklich bewertet wird, ob sie dazu beitragen, die Züge im wahrsten Sinne des Wortes oder im übertragenen Sinne, direkt oder indirekt voranzubringen. Jedes Unternehmen entwickelt Dienstleistungen, die nur dem Marketing dienen, "Innovationen", die sich selbst genügen oder auch ständige Neuerfindungen des Rades. 

 

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hat die Schweiz ihre Eisenbahnen verstaatlicht, um ein robustes System zu schaffen, um das uns viele beneidet haben. Nun sind wir zu Beginn des 21. Jahrhunderts dabei, das Ganze wieder aufzuschnüren. 

Da das Geld aber immer noch nicht vom Himmel fällt, muss man das irgendwie kompensieren. Und das macht man gerne beim Lokführer, dessen Leistungen auf die Minute genau abgerechnet werden: Was wäre, wenn er noch ein bisschen schneller fahren würde? Denn ja, wir haben ein Problem: Es wird immer mehr Geld in den öffentlichen Verkehr investiert und der Anteil des Modal Split stagniert.

Lassen Sie uns einen Moment bei der Verzettelung der Eisenbahnverkehrsunternehmen verweilen. Wer profitiert davon? Die Fahrgäste? Nein. Die Eisenbahner? Im Gegenteil. Die verschiedenen oben genannten Abteilungen, die dadurch umso mehr Programme aller Art, Marketing und andere Konzepte zu erfinden haben? Ja, da diese vervielfacht werden. Ebenso haben Sie statt einer Hierarchie nun jede Menge Hierarchien, in denen jeder eine Chance hat, seinen Platz zu finden! 

Zu den Verlierern zählen die Mitarbeiter vor Ort und die Nutzer. Denn der Betrieb wird zum Vergnügen der Digitalisierer und Chefs aller Art zerstückelt, und ein zerstückelter Betrieb verliert unweigerlich an Effizienz und Zuverlässigkeit. Dennoch wird das Ganze politisch - vielleicht unfreiwillig - durch den Wunsch unterstützt, künstlich Konkurrenz zu schaffen. Künstlich warum?

Weil die Eisenbahn grundsätzlich wirtschaftlich nicht sehr attraktiv ist, erst recht nicht, wenn es sich um einen öffentlichen Dienst handelt, der getaktet und in allen Regionen unseres Landes angeboten werden soll. 

Betrachten wir die Westschweiz: Die SBB haben sehr große Teile des Regionalverkehrs vor allem in den Kantonen Wallis, Neuenburg und Freiburg aufgegeben. Dies wirkt sich auf die Produktivität aus, die trotz der zahlreichen Anstrengungen des Personals nicht in Schwung kommt. Und in kleinen Personalgruppen kann sich die Unterbesetzung noch viel schneller verschlimmern. Ein paar Unregelmäßigkeiten in der Belegschaft und schon ist ein Unternehmen nicht mehr in der Lage, seine Leistungen zu erbringen - es sei denn, ein Pseudo-"Konkurrent" springt als Retter in der Not ein. Ein Beispiel dafür ist die BLS, die Personal an RegionAlps verleiht. 

Die Eisenbahn wurde von unseren Vorfahren nicht aus politischer Ideologie verstaatlicht. Es war aus wirtschaftlicher Notwendigkeit und auf sehr pragmatische Weise. Wie lange wollen wir die Fehler aus der Anfangszeit der Eisenbahn wiederholen? Wie lange wollen wir es uns noch leisten, Geld aus dem Fenster zu werfen, indem wir die Zahl der Verwaltungsstellen vervielfachen? Die Steuerzahler verdienen eine bessere Verwendung ihrer Gelder!

Die Eisenbahn kann ein wunderbares System sein, wenn sie einfach, zuverlässig, effizient und robust ist, wie es die Schweiz im letzten Jahrhundert bewiesen hat. Wir haben die Möglichkeiten, zu diesen Qualitätsstandards zurückzukehren, so dass die Bevölkerung wieder stolz auf ihre Eisenbahnen sein kann. Dies wird durch einen radikalen Wandel und eine Neuausrichtung auf die Eisenbahnerinnen und Eisenbahner geschehen, nicht auf diejenigen, die dies in Artikeln im Intranet behaupten, sondern auf diejenigen, die es täglich vor Ort sind. 

Dies wird auch durch eine Aufwertung dieser Personen geschehen, in Form von Gehältern und Zulagen, z. B. für ihre Nachtarbeit, wie oben erwähnt, aber auch durch die Zentrierung des gesamten Systems auf die Bedeutung ihrer Leistungen. 

Um den Slogan "OneCFF" zu paraphrasieren, sollte es tatsächlich nur eine Eisenbahn geben: Die der Eisenbahner vor Ort, zum alleinigen Nutzen der Bevölkerung, die sie nutzt.

 

Übersetzt mit DeepL.com / MB